Die richtige Wahl treffen
Auf die Frage welche Kampfkunst die richtige ist läßt sich keine grundsätzliche Antwort geben, denn die Frage ist nicht vollständig. Hier müßte man die Gegenfragen stellen: „Welche Anforderungen stellst du an ein Kampfsystem? Auf welchen Aspekt legst du besonderen Wert?“ Denn jede Kampfkunst hat Ihre Vor- und Nachteile, ihre Stärken und Schwächen. Die meißten Systeme und Stile haben sich auf bestimmte Bereiche spezialisiert. Jede Kampfkunst ist deshalb auf ihrem Spezialgebiet die beste, vernachlässigt aber notwendigerweise Aspekte, die andere Künste besonders in den Vordergrund stellen.
Man kann die existierenden und bekannten Systeme grob und damit gewaltmäßig in vier Klassen einteilen. Diese Klasseneinteilung stellt keine Wertung dar.
Kampfkunstarten: Körperaufbausysteme
Systeme, die Kraft und Gelenkigkeit verlangen und deshalb Gymnastik und Konditionierung betonen. Man benutzt den Begriff Körperaufbausysteme, weil die den Körper stärken und aufbauen. Zu dieser Gruppe gehören die meisten harten Shaolin Stile, z.B. Hung Gar Kung Fu und deren Söhne, Enkel und Urenkel wie japanisches Karate oder koreanische Taekwon-Do als in Europa bekannteste Vertreter.
Kampfkunstarten: Opernsysteme
Systeme, deren schöne, weite, elegante Bewegungen, künstlerische und artistische Tritte und hohe Sprünge Selbstzweck sind, ohne besonderen praktischen Nutzen im Kampf haben. Man sieht diese balettartigen Bewegungen oft in Kung-Fu-Filmen. In dierser Gruppe findet man vor allem die sogenannten Tiersysteme, z.B. „Kranich-Kung-Fu“, „Affen-Kung-Fu“ usw. Man erkennt diese Opernsysteme an ihren ästhetischen Bewegungen. Als Faustregel, die fast immer stimmt, kann man sich merken: Hat ein System schöne tänzeriche Bewegungen, ist es möglicherweise für die Praxis, den Kampf ohne Regeln nicht sehr geeignet.
Kampfkunstarten: Gesundheitssysteme
Systeme, die besonders die Gesundheit, das lange Leben, die Meditation usw. fördern und in den Vordergrund stellen. Hierunter fallen Tai Chi, Hsing-I, Pakua – als sogenannte innere Systeme aber auch mache Shaolin Systeme. Oft hört man auch die Bezeichnung Chi-Kung. Das weist auf die Atmung hin, die bei diesen Gesundheitssystemen eine wichtige Rolle spielt.
Kampfkunstarten: Kampfsysteme
Systeme, die das genaue Gegenteil der Opernsysteme sind, die auf alles verzichten, was mit Show zu tun hat und sich nur an der Kampfpraxis orientieren.
Nur was im Ernstfall den Gegner risikolos, ohne überflüssige Bewegungen direkt und in kürzester Zeit ausschaltet, hat einen Platz im Repertoire eines Kampfsystems.
Die Gruppe der reinen, kompromißlosen Kampfsysteme zeichnet sich durch kleine, knappe, sparsame Bewegungen aus. Hier fehlt alles Spektakuläre. Es gibt kaum hohe Tritte, kaum Sprünge oder markerschütternde Schreie. Auch tiefe Stellungen und starre Kampfstände wird man vergebens suchen. Kampfsysteme wirken fürs Auge nicht attraktiv. Sie eignen sich ebenso wenig für Demonstrationen wie etwa Boxtechniken. Es gibt wenige reine Kampfsysteme, was nicht bedeutet, das man mit den anderen Systemen nicht kämpfen könnte. Nur – mit den spezialisierten Kampfsystemen geht es halt noch besser und das Leung Ting WingTsun ist ein solches. Das heißt aber wiederum nicht, daß jeder Exponent eines Kampfsystems jeden Exponenten eines andern Systems unbedingt im Kampf schlagen müssen. Im Kampf stehen sich nämlich nicht System A und B gegenüber sondern Fritz und Joachim, und beide mit ihren individuellen Stäken, Schwächen und Ängsten.
(Dieser Text basiert auf dem Abschnitt „Wer die Wahl hat … oder Welche Kampfkunstschule, welche Budo- oder Wu Shu-Kunst ist für mich persönlich die richtige?“ aus dem Buch „Wing Tsun Leung Ting Kung Fu – Praktische Selbstverteidigung“ von GM Kernspecht. Zu bestellen bei: www.wushu-verlag.com )